08/08/2024 0 Kommentare
Endlich ein eigenes Zuhause
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Endlich ein eigenes Zuhause
In Bochum fehlt Wohnraum für junge Erwachsene mit einer Behinderung
Plätzchen backen in der Weihnachtsbäckerei - das würden Saskia Müller* (r.) und Jens Korte* gerne möglichst bald in ihren eigenen vier Wänden machen. Foto: Diakonie Ruhr
In Bochum fehlt adäquater Wohnraum für junge Erwachsene mit einer (schweren) Behinderung. Das belastet die Betroffenen und ihre Eltern stark.
Ralf Schmidt* betritt den Raum mit einem strahlenden Lachen und steuert direkt auf die Gruppe junger Erwachsener zu. Das für ihn typische "Tach" ertönt zur Begrüßung. Man merkt den anderen an, dass sie sich übers Wiedersehen freuen. Einige erwidern den Gruß. Über andere Gesichter huscht ein Lächeln. Das ist für diese Menschen mit einer - zum Teil schweren - Behinderung schon viel an normaler Interaktion.
Sie alle sind in die Einrichtung der Diakonie Ruhr an der Wasserstraße gekommen, um gemeinsam Plätzchen zu backen. Deshalb geht es für Ralf Schmidt direkt weiter in die Küche, wo Heike Jeschniak von der Diakonie Ruhr bereits mit den Backutensilien wartet. Saskia Müller* kümmert sich ums Kneten und Ausrollen vom Teig. Jens Korte* steht schon mit den Ausstechformen bereit.
Ein Stück Normalität leben
Ein ganz normales vorweihnachtliches Treiben zwischen mehlweißer Arbeitsplatte und aufheizendem Backofen. Und genau darum geht es bei diesen monatlichen Treffen, ein Stück Normalität zu leben. Das ist eine Vorbereitung auf das spätere eigenständige Wohnen.
Ralf Schmidt schaut derweil kurz bei der benachbarten Tischgruppe vorbei, begrüßt auch hier alle Anwesenden mit seinem fröhlichen "Tach". Die Eltern der jungen Erwachsenen, die zeitgleich in der Küche aktiv sind, reagieren mit einem freundlichen "Hallo, Tobias!" Für einen Moment sind die Sorgenfalten von ihren Gesichtern verschwunden. Ralf Schmidt wirkt ein wenig wie ein Seelentröster.
Doch schon kurze Zeit später, als der junge Mann sich wieder in die "Weihnachtsbäckerei" begeben hat, sind die ernsten Blicke wieder da. Einmal mehr wird diskutiert. Das Thema: ein Neubau mit Wohnungen für die jungen Erwachsenen. Ihre Wohnsituation ist ein Dauerbrenner, schon seit Jahren. Den Eltern brennt das Problem unter den Nägeln: "Es wird echt Zeit, dass wir endlich einen Schritt weiterkommen", spricht Carsten Kruse* den Anwesenden aus der Seele.
Sie alle betreuen ihre Angehörigen schon über Jahre hinweg, manche müssen sie auch pflegen. "Mein Sohn ist erwachsen", sagt Hannelore Braun*, "es ist doch ganz normal, dass er irgendwann auszieht." Ihr Matthis kurvt derweil mit seinem Rollstuhl in Richtung Küche, sie schaut ihm nach. Der junge Mann hat einen hohen Hilfebedarf, braucht eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung. Sie muss das alleine stemmen. Das ist für sie eine dauerhafte große Belastung, die wie bei den meisten anderen Eltern auch Spuren bis hin zu Gesundheitsproblemen hinterlassen hat.
Ziel: ein Wohnhaus mit einer professionellen Betreuung
Seit mehr als vier Jahren machen sich die meisten Eltern für eine Lösung stark, manche schon deutlich länger. Ihr Ziel: ein Wohnhaus mit einer professionellen Betreuung für ihre erwachsenen Kinder. Denn so eine Wohnform sei notwendig, "aber es gibt viel zu wenig davon in unserer Stadt", beklagt Hannelore Braun. Deshalb müsse neu gebaut werden, damit die jungen Erwachsenen in ihren eigenen vier Wänden leben können, fordert sie. "Die Alternative wäre eine Unterbringung im Altenpflegeheim. Das kann man den jungen Menschen doch nicht antun", sagt Hannelore Braun.
Etwas lässt die Situation absurd erscheinen: Mit dem Landschaftsverband Westfalen Lippe, der das Projekt "Selbstbestimmt Wohnen in NRW" ins Leben gerufen hat, gibt es bereits ein abgestimmtes Konzept für ein Wohnhaus. Das Gebäude würde von der Gesellschaft Selbstbestimmt Wohnen errichtet würde. Damit ist quasi alles in trockenen Tüchern - bis auf einen wesentlichen Punkt: "Leider konnte in den vergangenen Jahren kein geeignetes Grundstück erworben werden", erklärt Reinhard Jäger vom Wohnverbund Weitmar der Diakonie Ruhr das Dilemma.
Mehrfach hat es schon Grundstücke gegeben, die in Frage gekommen wären. "Immer wieder haben sich die Eigentümer dann letztlich doch anders entschieden", berichtet Carsten Kruse. Jedes Mal sei die Hoffnung wieder da gewesen, ihre Kinder bald gut untergebracht zu wissen. Und jedes Mal wurde diese zunichtegemacht. "Das zermürbt", ist in der Runde mit einem resignierten Unterton zu hören.
Zeitgleich ist die Tochter von Carsten Kruse in der Küche damit beschäftigt Plätzchen auszustechen. Ganz akkurat geht Johanna* dabei vor, will keinen Teig verschwenden. Sie plaudert dabei mit Heike Jescheniak über ihren Freund. Ein Stück Normalität im Leben der jungen Frau, die im Rollstuhl sitzt. Ein Stück Normalität, die bald Alltag werden könnte. In ihrer eigenen Küche, in ihrem eigenen Appartement. Johanna Kruse und die anderen jungen Erwachsenen hoffen jetzt gemeinsam mit ihren Eltern auf die Unterstützung durch die Stadt.
*Name auf Wunsch der betroffenen Person geändert.
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